Frau Günther, Herr Simon, die dezentrale Bewirtschaftung von Regenwasser wird in Zukunft für Berlin immer wichtiger. Warum?
Regine Günther: Wir müssen uns an die Folgen des Klimawandels anpassen, um Berlin als lebenswerten Ort zu erhalten. Klimawandel bedeutet mehr Extremwetterereignisse, also Starkregen, Hitze und Trockenheit. Weil in Berlin viel gebaut wird und dadurch Flächen versiegelt werden, können diese dann bei Starkregen die großen Wassermengen nicht aufnehmen. Es drohen Überschwemmungen. Wir brauchen also Flächen, damit das Wasser versickern kann und so die Stadt geschützt wird. Gründächer, Regenzisternen oder auch bepflanzte Versickerungsmulden können hier helfen.
Durch den Klimawandel steigen die Temperaturen, das haben wir nicht nur im vergangenen Sommer alle gespürt. Also wollen wir das kostbare Regenwasser auffangen und vor Ort verdunsten lassen. Das kühlt die Umgebung.
Jörg Simon: Die Abwasser- und Regenmengen, die über Kanäle der Berliner Wasserbetriebe abgeleitet werden, nehmen nachweislich zu. Wir arbeiten zusammen mit dem Land Berlin daran, die Systeme der Abwasserentsorgung – die Kanalisation und die Klärwerke – noch leistungsstärker zu machen. Ein Beispiel ist der Stauraumkanal im Mauerpark mit einem Fassungsvermögen von 7.400 Kubikmeter Abwasser. Er wird 2019 in Betrieb genommen und zukünftig die Panke vor Überläufen aus der Mischwasserkanalisation bei Starkregen bewahren.
Die zentralen Systeme können jedoch nicht unbegrenzt weiterwachsen, sondern brauchen Unterstützung. Wo es technisch möglich und ökologisch sinnvoll ist, soll Regenwasser an Ort und Stelle bewirtschaftet werden, um die Kanalisation und unsere Gewässer zu entlasten. Mit dezentralen Maßnahmen des Regenwasserrückhalts können wir auch gegen Überflutungen in der Stadt vorgehen, wie wir sie im Jahr 2017 erlebt haben. Denn solchen Extremereignissen ist kein Kanal gewachsen.
»Mit dezentralen Maßnahmen des Regenwasserrückhalts können wir auch gegen Überflutungen in der Stadt vorgehen, wie wir sie im Jahr 2017 erlebt haben. Denn solchen Extremereignissen ist kein Kanal gewachsen.«
Wie erreichen wir in Berlin einen angepassten Umgang mit Regenwasser? Was kann dabei Politik leisten?
Regine Günther: 2017 haben wir Ziele für eine Neuausrichtung unseres Umgangs mit Regenwasser gefasst. Dazu zählt, bei neuen Wohnquartieren das Regenwasser besser zu managen und so nutzbar zu machen. Zudem sollen Flächen, von denen Regenwasser direkt in die Mischwasserkanalisation fließt, jährlich um ein Prozent reduziert werden. Ganz aktuell erarbeiten Politik, Verwaltung, Fachöffentlichkeit und Bürger:innen unter dem Schlagwort Mein Grünes Berlin Strategien und Maßnahmen, um das Berliner Stadtgrün zu fördern. Diese werden bis 2019 in eine Charta als dauerhafte Selbstverpflichtung einfließen. Auch hier verankern wir das Thema Regenwassermanagement.
Zusätzlich setzen wir mit einem 1.000-Grüne-Dächer-Programm finanzielle Anreize. Heute sind erst vier Prozent der Dachflächen Gründächer. Hier schlummert ein großes Potential, um Berlin grüner werden zu lassen. Förderungen für eine dezentrale Regenwasserbewirtschaftung sind auch im Rahmen des Berliner Programms für Nachhaltige Entwicklung (BENE) und des neuen Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms (BEK) möglich. Ziel ist immer, die Stadt für die Berliner:innen lebenswerter zu machen. Mehr Grün auf den Dächern ist dafür ein wichtiger Beitrag.
»Ziel ist immer, die Stadt für die Berlinerinnen und Berliner lebenswerter zu machen. Mehr Grün auf den Dächern ist dafür ein wichtiger Beitrag.«
Welche Aufgaben kommen auf die Berliner Wasserbetriebe zu?
Jörg Simon: Wir als Unternehmen haben uns in unserer Klimaschutzvereinbarung mit dem Land Berlin bereits 2016 dazu verpflichtet, den dezentralen Umgang mit Regenwasser zu fördern. In den neu entstehenden Wohnquartieren legen wir einen Schwerpunkt auf die dezentrale Entwässerung. Wir sind für die öffentlichen Straßen und Plätze zuständig. Daher arbeiten wir Hand in Hand mit Eigentümer:innen und Verwaltung, um funktionierende und wirtschaftliche Gesamtkonzepte für die öffentlichen und privaten Flächen zu entwickeln. Das Ergebnis: Die großen neuen Wohnungsbaustandorte wie zum Beispiel die Buckower Felder in Neukölln oder das Schumacher Quartier auf dem Gebiet des Flughafens Tegel werden nahezu abflusslos sein!
Dass wir solche Ergebnisse erzielen können – und das möchte ich dazu sagen – liegt entscheidend daran, dass die Beteiligten dezentrale Regenwasserbewirtschaftung als eine Gemeinschaftsaufgabe verstehen. Die Berliner Wasserbetriebe können die neuen politischen Ziele nicht im Alleingang erreichen. Wir brauchen in der Planungsphase eine enge Zusammenarbeit, und für die Umsetzung brauchen wir qualifizierte Fachkräfte.
Wie wichtig sind Grundstücks- und Immobilienbesitzer:innen als engagierte Akteure?
Jörg Simon: Sie spielen eine ganz zentrale Rolle – angefangen bei den privaten Grundstücks- und Gebäudebesitzer:innen über Gewerbebetriebe, Verwaltung und Unternehmen bis hin zu den großen Immobilienfirmen und städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Denn sie alle verantworten zusammen mehr als die Hälfte der in Berlin befestigten Flächen. Gerade auf den Grundstücken gibt es vielfältige Potenziale für die Bewirtschaftung von Regenwasser. Das Regenwasser ist hier oftmals nur gering belastet, was die Bewirtschaftung vor Ort erleichtert.
Regine Günther: Wir wollen verhindern, dass die Kanalisation bei Starkregen überläuft und Flüsse und Seen dadurch verschmutzt werden. Deswegen reduzieren wir die angeschlossenen Flächen um jährlich ein Prozent. Deswegen wird das neue Gründachprogramm insbesondere Besitzer:innen von Bestandsimmobilien unter die Arme greifen, die nachträglich auf Gründächer umrüsten, wo dann das Wasser gespeichert wird. Neben der Förderung braucht es auch Beratung, denn die Menschen wollen etwas für ihre Stadt tun. Wie dieses bürgerschaftliche Engagement gelingen kann, dazu berät die Regenwasseragentur.
Um 1 Prozent jährlich sollen die Flächen, die an die Mischwasserkanalisation angeschlossen sind, reduziert werden.
Stichwort Regenwasseragentur: Welche Aufgaben sehen Sie beide für die im Mai 2018 gegründete Agentur?
Regine Günther: Die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung ist eine Gemeinschaftsaufgabe. So ist auch die Regenwasseragentur eine gemeinsame Initiative des Landes Berlin und der Berliner Wasserbetriebe. Sie wird von der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz gefördert. Ich sehe ihre Aufgaben vor allem darin, Akteur:innen für einen nachhaltigen Umgang mit Regenwasser zu gewinnen und sie auf ihrem Weg zu unterstützen. Hierfür fördert sie den Dialog, engagiert sich für die gemeinsame Entwicklung von Umsetzungsstrategien, stellt Informationen zur Umsetzung bereit, sensibilisiert für Notwendigkeiten und Chancen. Sie ist Kommunikatorin, Beraterin, macht aber auch konkrete Qualifizierungsangebote.
Jörg Simon: Die Regenwasseragentur ist bei den Berliner Wasserbetrieben angesiedelt. Wir arbeiten eng und verzahnt zusammen. Einerseits profitiert die Agentur von unserem Know-how und andererseits wirkt sie auch in unser Unternehmen hinein. Ich finde übrigens, dass die Website ganz gut die Aufgabe der Regenwasseragentur illustriert: Sie zeigt auf anschauliche Weise, wer das Thema voranbringt, wo das Ganze stattfindet und was es braucht, um erfolgreich zu sein – um dadurch auch andere Akteur:innen zu motivieren.
Was haben die Menschen in der Stadt von den Veränderungen?
Regine Günther: Es geht bei allem darum, Berlin für die Berlinerinnen und Berliner lebenswert zu gestalten. Wachstum und ökologische Ansprüche müssen unter einen Hut. Wir wollen ein grünes Berlin, hochwertige Freiräume, ein gutes Mikroklima. Davon profitieren alle in der Stadt.
Jörg Simon: Ganz spürbare Vorteile sind saubere Gewässer und die Reduktion von Überflutungsrisiken. Obendrein kann jede:r Einzelne gewinnen. Wie das aussehen kann, zeigen die Preisträger:innen des Gründach-Wettbewerbs »Berlins schönstes Gründach«, der kürzlich von den Berliner Wasserbetrieben ausgelobt wurde, sehr eindrücklich. Hier entstehen Erholungsräume, die echten Mehrwert schaffen. Beispielhafte Ideen wie diese zeigen: Am besten lassen sie sich umsetzen, wenn alle gemeinsam anpacken.