Interview
»Der Klimawandel hat die Perspektive komplett gedreht«

Christoph Donner, der neue Chef der Berliner Wasserbetriebe, über die Veränderungen in der Wasserwirtschaft, die Bedeutung des Regenwassers und einen grünen Mantel, den die Stadt anlegen könnte.

21. Juni 2023
Retentionsgruendach auf Betriebsgebaeude Berliner Wasserbetriebe Jungfernheide
Bau eines Retentionsgründachs auf einem Betriebsgebäude der Berliner Wasserbetriebe in Jungfernheide
Herr Donner, Sie haben bis 2009 für die Berliner Wasserbetriebe gearbeitet und in Berlin gelebt. Wie hat sich die Wasserwirtschaft der Stadt bis heute verändert?

Wasser hatte vor einer Dekade eine ganz andere Bedeutung. Als ich gegangen bin, haben wir uns sehr oft mit nassen Kellern etwa in der Siemensstadt beschäftigt. Die Angst war groß, dass halbe Stadtteile regelrecht „absaufen“ würden. Unsere Aufgabe war es oft, das mit leistungsstarken Pumpen zu verhindern. Damals haben wir mit Blick auf die Trinkwasserversorgung geglaubt: Wir haben genügend Wasser und alles ist gut. Der Klimawandel hat diese Perspektive komplett gedreht. Jetzt steigt der Wasserbedarf, gleichzeitig geht der Zufluss zurück. Darum reden wir jetzt über die Schwammstadt und wie wir den Regen als Ressource zum Vorteil der Berlinerinnen und Berliner nutzen können.

Wie ändert sich dadurch das Stadtbild?

Heute sehe ich, wie viel in Berlin gebaut wird, dass fast alle Baulücken von damals geschlossen sind. Aber wie viele begrünte Fassaden sehe ich? Wie viele Bäume sehe ich auf den Mittelstreifen und wie viele Pflaster, die das Wasser wirklich in den Boden durchlassen? Noch viel zu wenige!

Ist das die viel geschmähte Berliner Langsamkeit?

Nein, gar nicht. Gerade in der Wasserwirtschaft passiert sehr viel. Nur ein Beispiel: Die Sanierung des alten Abwasserkanals Emscher im Ruhrgebiet hat 5 Milliarden Euro gekostet und 20 Jahre gedauert. Das wird bundesweit gelobt. In Berlin investieren wir jetzt 3,1 Milliarden Euro binnen fünf Jahren und niemand redet darüber. Die Berlinerinnen und Berliner können es nicht erleben, weil vieles unter der Erde im Verborgenen oder in unseren Klärwerken passiert. Die Einführung einer vierten Reinigungsstufe für Phosphor und Rückstände von Arzneimitteln etwa ist ein Quantensprung, auch für die Umwelt. Und mit der Schwammstadt hat Berlin ein neues Leitbild. Wir ruhen uns nicht aus, sondern fragen jeden Tag: Gehen wir die Aufgabe radikal genug an? Wie können wir hier noch schneller und besser werden?

Jahresbericht 2022 der Berliner Regenwasseragentur
Jahresbericht 2022

Das Interview mit Christoph Donner ist erstmals in unserem Jahresbericht 2022 erschienen. Weitere Beiträge:

Seit 2018 gelten Einleitbegrenzungen für Regenwasser bei Bauvorhaben, wurden Förderprogramme aufgestellt und nicht zuletzt die Berliner Regenwasseragentur etabliert. Welche Veränderungen sind da schon greifbar?

Wenn wir auf ganz Deutschland schauen, sind wir ziemlich weit vorne. Dafür erst mal meinen Glückwunsch, auch an die Regenwasseragentur. Beim Thema Begrünung und Versickerung stehen wir bei den Neubauprojekten inzwischen sehr gut da und können sogar schon eine gewisse Tradition nachweisen. Der Potsdamer Platz war ein frühes Glanzstück, was die Regenwasserbewirtschaftung angeht. Jetzt greift das Prinzip Schwammstadt neben den vielen Neubauten in der Stadt auch bei der Gestaltung des historischen Molkenmarktes, Unter den Linden und am Funkturmdreieck. Wo wir viel mehr machen müssen, ist der Gebäudebestand – was ja erheblich schwieriger ist.

Wie kommen wir da voran?

Das ist die zentrale Frage und ich glaube, wir müssen hier neue Wege gehen. Ich würde mir begehbare Leuchtturmprojekte mit verschiedenen Facetten der Regenwasserbewirtschaftung in allen zwölf Bezirken Berlins wünschen. Und warum machen wir nicht eine Simulation, in der wir einen grünen Mantel über Berlin legen? Machen einen visionären Entwurf dazu, wie die Stadt aussehen sollte? Mit grünen Fassaden, entsiegelten Bürgersteigen, regenwasserseitig abgekoppelten Liegenschaften und Kopfsteinpflastern, durch die das Wasser versickern kann, ohne die Kanalisation zu belasten. Auch den Aufbau von Zisternen sollten wir uns ansehen – also von Speichern, mit denen wir im Sommer das neue Grün bewässern können, um hier nicht auf Wasser mit Trinkqualität angewiesen zu bleiben. Und dann gucken wir uns das nicht nur technisch an, sondern fragen auch: Was würde das kosten? Was bringt es uns finanziell ein und wo sparen wir dadurch? Aber auch: Was bedeutet es für unsere Nachhaltigkeit und Steigerung der Lebensqualität für unsere Stadt. Hier könnte – auch zusammen mit Partnern – die Regenwasseragentur einen Beitrag leisten.

»Mit der Schwammstadt hat Berlin ein neues Leitbild. Wir ruhen uns nicht aus, sondern fragen jeden Tag: Gehen wir die Aufgabe radikal genug an? Wie können wir hier noch schneller und besser werden?«
Ist Abkopplung das neue Paradigma der Berliner Wasserwirtschaft?

Das Paradigma lautet, dass gerade das Regenwasser seinen natürlichen Weg gehen und so wenig Technik wie möglich passieren sollte. Das hilft dem Stadtklima, der Trinkwasserversorgung und senkt die Wassergebühren der Menschen und Unternehmen in Berlin.

Der Vorstandsvorsitzende der Berliner Wasserbetriebe, Prof. Dr. Christoph Donner

Christoph Donner

Prof. Dr. Christoph Donner ist nach Stationen in Österreich, bei den Wasserwerken in Mülheim und bei den Harzwasserwerken sowie als Honorarprofessor der Uni Duisburg-Essen 2023 zurück nach Berlin gekommen. Hier hatte er schon von 2000 bis 2009 bei den Wasserbetrieben gearbeitet.

Wie wichtig ist die Arbeit der Regenwasseragentur?

Die Regenwasseragentur hätte man schon viel früher erfinden sollen! Sie ist absolut ein Teil unserer DNA. Und innerhalb der Wasserbetriebe ein Schnellboot. Die Regenwasseragentur ist ein junges Team, sehr flexibel aufgestellt. Als gelernter Hydrogeologe, der den Grundwasserkörper an sich kennt, ist die Bewirtschaftung von Regenwasser für mich ein total wichtiger Teil der Wechselwirkungsmechanismen im Wasserkreislauf der Stadt. Wir wollen das Thema und das Zusammenwachsen mit der Regenwasseragentur als Teil unserer Wasser-DNA innerhalb der Wasserbetriebe, des Landes sowie der Bezirke noch weiter stärken. Sicher ist: Wir müssen Gas geben.

Wo stehen denn die Wasserbetriebe selber mit ihren rund 600 Liegenschaften bei der Regenwasserbewirtschaftung?

Wir setzen schon vieles um, können aber auch selber noch mehr machen. Denn wenn wir nicht selber Vorreiter sind, können wir auch andere nicht gut beraten. Bei der Beratung sollten wir auch aus eigenen Erfahrungen schöpfen. Fragen wir uns: Können wir die Unternehmenszentrale mit grüner Fassade und aktiver Versickerung umgestalten? Wir sollten unser eigenes Haus zum Showcase machen. Uns ist klar, wie schwierig das ist, aber dann können wir aufzeigen, welche Lösungen aktuell real machbar sind und für welche wir noch neue Rahmenbedingungen und Lösungsräume schaffen müssen. Wir können nicht nur blau sondern auch grün.

 

Welche Lösungsansätze sind für Berlin besonders wichtig?

Wir wollen horizontale Lösungsansätze weiter in der Fläche vielfältig umzusetzen und innovativ entwickeln – vom smart bewirtschafteten Dachspeicher mit Begrünung bis zum Multi-Barrieren-Rigolensystem. Doch auch vertikale Lösungsansätze, also an Haussfassaden, sind ein wichtiges Element, da sie prozentual einen hohen Flächeneffekt bringen. Wir müssen bewerten, was sie für den Erhalt einer lebenswerten Stadt bei klimabedingten Temperaturen bis zu 50 Grad Celsius mit neuen Lösungsansätzen im Bestand wie im Neubau für die “Morgenstadt Berlin” beitragen können. Kurzum, horizontal können wir, vertikale Lösungsansätze müssen wir gerade für die innerstädtischen Hitzezonen weiter vorantreiben.

 

 

Vielen Dank für das Gespräch!

»Horizontal können wir, vertikale Lösungsansätze müssen wir gerade für die innerstädtischen Hitzezonen weiter vorantreiben.«