Herr Matzinger, Sie kennen KURAS wie nur wenige andere. Welche Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt richten sich konkret an der Praxis aus?
Wir haben gezeigt, und das war vielleicht das Wichtigste, dass Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung vielfältige signifikante Vorteile für die Stadt bringen können, z.B. für den Gewässerschutz, für die Kühlung der Stadt oder für die Verbesserung der Biodiversität und Freiraumqualität. Das wurde vorher schon oft behauptet, aber in KURAS haben wir mit einer großen Zahl Expert:innen aus unterschiedlichsten Bereichen den Nachweis erbracht.
Die einzelnen Maßnahmen wie Dach- und Fassadenbegrünung, Regenwassernutzung, Versickerungsmulden oder auch Retentionsbodenfilter bringen jeweils unterschiedliche Vorteile mit sich. Werden die Maßnahmen und die verschiedenen städtischen Ebenen – also vom Gebäude über das Quartier hin zum Kanaleinzugsgebiet – zusammen betrachtet, können städtische Vorgaben ganz gezielt erreicht werden. Die Maßnahmen funktionieren gut zusammen und es gibt viele Wege, die Potenziale der Regenwasserbewirtschaftung zu erschließen.
»Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung bringen vielfältige signifikante Vorteile für die Stadt.«
Andreas Matzinger
Der gebürtige Schweizer hat Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich studiert und im Bereich Gewässerforschung promoviert. Nach Berlin kam Andreas Matzinger der Liebe wegen. Seither arbeitet er als Projektleiter beim Kompetenzzentrum Wasser Berlin. Über die Untersuchung der Belastung von Gewässern durch Mischwasserüberläufe fand er zum Thema Regenwasser. In diversen Forschungsprojekten hat er neben den positiven Aspekten des Regenwassers für die Stadt auch die problematischen untersucht, wie z.B. die im Regenwasser enthaltenen Schadstoffe.
Was hält KURAS noch für die Praxis bereit?
Wir haben anhand von zwei Testgebieten in den Bezirken Pankow und in Schöneberg gezeigt, wie sich so eine integrierte Planung von Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung gestalten lässt. Eine wichtige Erkenntnis war, dass die Planung mit der Zielsetzung beginnt. Ausgangsfrage sollte immer sein: Was will ich in einem bestimmten Gebiet erreichen? Will ich die Gewässer entlasten, die Hitzebelastung mindern oder den öffentlichen Freiraum aufwerten? Das klingt selbstverständlich, wird aber tatsächlich oft vergessen.
Das Ziel vorwegzunehmen, hilft dabei, den Blick zu öffnen, vom starren Festhalten an bestimmten Maßnahmen wegzukommen und in Ruhe zu schauen, was wirklich im Gebiet am besten passt. Wir haben es die »KURAS-Methode der integrierten Planung« genannt. Eine im Projekt entwickelte Auswahlmatrix hilft dabei, geeignete Maßnahmen vor dem Hintergrund konkreter Problemlagen zu finden.
Ein weiteres Planungshilfsmittel sind die sogenannten Maßnahmensteckbriefe, die auch im Internet verfügbar sind. Sie dokumentieren nicht nur die Wirkungen der Maßnahmen, sondern beschreiben deren Funktionsweise, geben Hinweise für Planung, Bau und Betrieb und verweisen auf passende Regelwerke. Die Steckbriefe sind für Planende und Fachfremde interessant.
Nicht zuletzt gibt es in Berlin bereits viele erfolgreiche Umsetzungsbeispiele. Einige dieser guten Beispiele wurden zusammen mit dem Land Berlin auf anschauliche und allgemeinverständliche Weise in einem Ökologischen Stadtplan zusammengefasst. Ich denke das sind die wichtigsten Dinge für die Praxis.
»Die Planung beginnt mit der Zielsetzung. Ausgangsfrage sollte immer sein: Was will ich in einem bestimmten Gebiet erreichen?«
KURAS: Konzepte für urbane Regenwasserbewirtschaftung und Abwassersysteme
Im Verbundforschungsvorhaben KURAS haben Forschende modellhaft in Berlin untersucht, wie durch intelligent gekoppeltes Regenwasser- und Abwassermanagement die zukünftige Abwasserentsorgung, die Gewässerqualität, das Stadtklima und die Lebensqualität einer Stadt verbessert werden kann. KURAS wurde in enger Zusammenarbeit zwischen Fachleuten aus Forschung und Praxis und den Berliner Entscheidungsträger:innen durchgeführt. Die Projektkoordination lag bei der TU Berlin und dem Kompetenzzentrum Wasser Berlin. Das BMBF-geförderte Projekt wurde Ende Oktober 2016 abgeschlossen.
Integrierte Planung der Regenwasserbewirtschaftung
Im Rahmen von KURAS wurde eine Methode entwickelt, die eine integrierte Planung von Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung für konkrete Stadtquartiere unterstützen kann. Sie verknüpft lokale Anforderungen mit der in KURAS erstellten Maßnahmenbewertung, um geeignete und machbare Maßnahmen auszuwählen und im Stadtquartier zu platzieren. Die Planungs-Methode, die Maßnahmenbewertung sowie das Potenzial kombinierter Maßnahmen werden in einem Leitfaden erläutert.
Maßnahmen-Steckbriefe
In Steckbriefformat werden für 27 verschiedene Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung Aufbau und Funktionsweise der Maßnahmen sowie Regelwerke, Kennzahlen und Hinweise zu Pflege und Unterhalt beschrieben. Zudem werden die Bewertung der Maßnahmeneffekte auf Umwelt und Bewohner:innen sowie ihr Aufwand an Kosten und Ressourcen für jede Maßnahme ausgewiesen. Eine Auswahlmatrix fasst die Bewertung aller Maßnahmen in einer Tabelle zusammen. Beide Hilfsmittel richten sich sowohl an Behörden und Wasserbetriebe als auch an Fachplanende und Eigentümer:innen.
Beispielhafte Berliner Projekte
In Berlin gibt es zahlreiche Umsetzungen einer nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung. Gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen wurden im Rahmen von KURAS 19 beispielhafte Projekte im Ökologischen Stadtplan in Form von anschaulichen Projektsteckbriefen dargestellt.
Bleiben wir bei der konkreten Umsetzung Ihrer Forschungsergebnisse: Was muss bei der Überführung in die Praxis im Einzelnen bedacht werden?
KURAS zeigt, dass es wissenschaftlich und praktisch sehr sinnvoll ist, unterschiedliche Ebenen gemeinsam zu denken, also nicht ein Gebäude oder eine Straße allein. Das scheitert oft an den Zuständigkeiten, weil es meistens für Grundstücke, Straßen, Grünflächen und Gewässer unterschiedliche Verantwortlichkeiten gibt. Da gilt es, neue Wege der Zusammenarbeit zu finden. Etwa bei der Frage: Wie kann ich das Wasser von meinem Dach über die Straße in einen Teich einleiten? Hier braucht es neue Ansätze, ebenso mehr Information. Es sind viele Anspruchsgruppen an der Regenwasserbewirtschaftung beteiligt. Umso wichtiger ist es, dass alle dazu motiviert werden, das Thema Regenwasser mitzudenken und es bei ihrer Planung miteinzubeziehen. Das finde ich einen wichtigen Aspekt.
»KURAS zeigt, dass es wissenschaftlich und praktisch sehr sinnvoll ist, unterschiedliche Ebenen gemeinsam zu denken, also nicht ein Gebäude oder eine Straße allein.«
Haben Sie selbst seit Abschluss des KURAS-Projektes praktische Erfahrungen in der Anwendung der Ergebnisse gemacht? Wie sehen diese konkret aus?
Es gibt ganz konkret das Folgeprojekt von KURAS, netWORKS 4 (s. Infobox), wo auch das Kompetenzzentrum Wasser dabei ist. Im Rahmen von netWORKS 4 wenden wir die KURAS-Methode für die Planung in einem konkreten Stadtumbau- und Verdichtungsgebiet in Pankow an und entwickeln sie weiter. Im Projekt KURAS haben wir ein Planspiel durchgeführt. Hier aber haben wir es mit realen Beteiligten zu tun, es sind »echte Player«.
Wir hatten mit ihnen bereits Planungsworkshops für den Umbau von Kitas, den Um- und Neubau einer Schule und zuletzt für die Entwicklung des Straßenlandes und der Freiflächen. Es zeigt sich z.B., dass die Planungsbüros mit unserer Auswahlmatrix leicht umgehen können, nicht aber unbedingt die Fachfremden wie beispielsweise die Vorhabentragenden oder Verwaltungsmitarbeitenden, die wichtige Instanzen bei der Planung sind. Letztere benötigen mehr Hintergrundinformationen und vereinfachte Hilfsmittel, um die Zielpriorisierung und Maßnahmenwahl durchzuführen.
Wie haben Sie das im Workshop umgesetzt?
Unter anderem haben wir für die vielfältigen Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung Informationskarten entwickelt. Diese sind vom Format her wie Quartettkarten, mit Name und Beschreibung der Einzelmaßnahme, dazu mit einem Foto. Auf der Rückseite sind die schematische Anwendung und die Wirkungen ebenfalls farbig abgebildet.
Diese Anschaulichkeit hat sich sehr bewährt, weil die Teilnehmenden die Karten durchgucken und darüber diskutieren können. Insbesondere für diejenigen, die sich bisher noch nie mit Regenwasserbewirtschaftung auseinandergesetzt haben, ist das sehr hilfreich und gibt einen guten ersten Überblick über ein an sich recht komplexes Feld. Natürlich braucht es am Ende immer die Profis vom Planungsbüro, die die Ideen aufgreifen und für eine Fläche durchrechnen. Abschließend gibt es noch eine Schleife mit den Arbeitsgruppen, wo das Ergebnis nochmals zur Diskussion gestellt wird.
»Ich bin insgesamt sehr optimistisch, dass der Mehrwert der Ressource Regenwasser in Berlin in Zukunft vermehrt erkannt und genutzt werden wird.«
Zum Schluss noch die Frage: Wie geht es weiter mit KURAS und Regenwasserbewirtschaftung in Berlin?
In Berlin ist sicher noch einiges zu tun, um die Umsetzung der KURAS-Ansätze zu befördern, etwa bei der Information der wichtigen »Player«, beim Setzen von möglichst konkreten städtischen Zielen oder bei der Anpassung der Gesetzgebung, z.B. fördert das Berliner Wassergesetz immer noch einseitig die Versickerung von Regenwasser. Zudem werden oft noch nicht alle Maßnahmen neutral gegenübergestellt. Aktuell habe ich den Eindruck, dass insbesondere der Aspekt der Regenwassernutzung in der Diskussion noch etwas zu kurz kommt – obwohl er sehr wichtig und hier großes Potenzial erkennbar ist.
Angesichts der aktuellen Debatten und Planungen in Berlin, bin ich aber insgesamt sehr optimistisch, dass der Mehrwert der Ressource Regenwasser in Berlin in Zukunft vermehrt erkannt und genutzt werden wird, auch wenn nicht jedes Projekt die »KURAS-Ergebnisse« im ursprünglichen Sinne nutzt. Letztlich hoffe ich, dass unsere Ergebnisse diese Entwicklung befördern und für die Praxis weiterentwickelt werden.
Als Forscher freue ich mich auf viele unterschiedlich umgesetzte Regenwasserkonzepte, die wir wiederum auf ihre Auswirkungen hin untersuchen können, um die Maßnahmen und Methodik weiter zu verbessern.
netWORKS 4 – Resilient networks
Für die Gestaltung klimagerechter Städte und für ein zukunftsfähiges Leben im urbanen Raum spielen die Wasserver- und Abwasserentsorgung eine zentrale Rolle. Sie müssen robust und anpassungsfähig sein, d.h. »resilient« gegenüber den Folgen des Klimawandels wie Starkniederschlägen oder Hitzeperioden. Zugleich müssen sie den ressourcenschonenden Umgang mit Wasser in der Stadt unterstützen. Um das zu leisten, ist die Verknüpfung von grauen, blauen und grünen Infrastrukturen sinnvoll. Doch wie könnten solche Verknüpfungen von Wasserleitungen, Kanalisationen und zum Beispiel urbanen Gewässern oder auch Grünflächen und Freiräumen aussehen? Und wie könnte damit die “Klimagerechtigkeit” für die Stadtbewohner:innen verbessert werden?
In Kooperation mit Berlin und Norderstedt werden diese und andere Aspekte in netWORKS 4 untersucht. Die Verbundleitung teilen sich das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) und das Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE). Weitere Berliner Mitwirkende sind die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt, das Kompetenzzentrum Wasser Berlin und die Berliner Wasserbetriebe. Gefördert wird das Forschungsprojekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).