Berliner Regenwasseragentur: Herr Wicke, wie stark ist der Regenabfluss durch umweltrelevante Stoffe belastet?
Daniel Wicke: Für bestimmte prioritäre Stoffe gibt es Maximalwerte für Grund- und Oberflächenwässer, sie sind in den Umweltqualitätsnormen (UQN) festgelegt. Messungen des KWB im Regenabfluss urbaner Gebiete haben gezeigt, dass diese Werte für einige Stoffe oftmals überschritten werden. Die UQN gelten zwar nicht für Regenabflüsse. Aber da diese direkt oder indirekt in Flüsse, Seen und Grundwasser gelangen, erlauben die gemessenen Werte eine Orientierung.
Dr. Daniel Wicke
Der Umweltingenieur ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Kompetenzzentrum Wasser Berlin (KWB), das zusammen mit der Ostschweizer Fachhochschule den Leitfaden und die drei Steckbriefe zur Planung von Dächern und Fassaden sowie zur Regenwasserbewirtschaftung auf dem Grundstück entwickelt hat.
Wo liegt das Problem im Gebäudebereich?
In vielen Bauprodukten, speziell in der Gebäudehülle, stecken viele umweltrelevante Stoffe, die bei Regen ausgewaschen werden. Das sind zum Beispiel Biozide in bestimmten Außenputzen, Dach- und Fassadenfarben oder in Holzschutzmitteln. Auch Schwermetalle wie Kupfer und Zink finden sich in hohen Konzentrationen im Regenwasser. Sie stammen unter anderem von Metallblechen für Dach und Fassade, Regenrinnen, Fallrohren oder Fensterbänken, aus Dachabdichtungen oder Putz- und Farbbeschichtungen. Hinzu kommen Zusätze in Kunststoffen, etwa Weichmacher in PVC-Dichtungsbahnen für Flachdächer.
Problematisch sind auch die meisten wurzelfesten Bitumendichtungsbahnen, die auf begrünten Dächern oder Tiefgaragen verlegt werden. Sie enthalten meist chemische Durchwurzelungsschutzmittel, die schlecht abbaubar sind und die Gewässer belasten. Die gute Nachricht ist: Es gibt mittlerweile wurzelfeste Bitumenbahnen ohne chemische Schutzmittel.
Konkrete Lösungsvorschläge für eine ökologisch nachhaltige Dachgestaltung:
- Dachbahnen mit geringer Emission
- Metallflächen mit geringer Emission
- Dachziegel und Dachsteine ohne Anstrich
- Dachbegrünung
Welche Rolle spielt die dezentrale Regenwasserbewirtschaftung, um stoffliche Belastungen im Regenabfluss zu vermeiden oder zumindest zu verringern?
Begrünte Dächer und Fassaden sowie Versickerungsanlagen wie Mulden, Grünflächen oder Rigolen speichern Regenwasser, das dann ganz langsam versickern kann. Wird die abfließende Wassermenge auf diese Weise reduziert, entlastet das nicht nur Kanalnetz und Gewässer, sondern es verringert sich auch die stoffliche Belastung. Bei einem extensiv begrünten Dach hält zum Beispiel schon eine zehn Zentimeter dicke Substratschicht 70 Prozent des Regens zurück. In Kombination mit Retentionselementen, also speziellen Wasserspeichern, sind es noch mehr.
Wie sieht es mit begrünten Fassaden und Versickerungsmulden aus?
Eine grüne Fassade schützt die Wand vor Schlagregen, auch dadurch werden weniger Schadstoffe ausgewaschen und mögliche Belastungen reduziert. Konstruktionen wie ein ausreichend großer Dachüberstand bieten ebenfalls einen wirksamen Witterungsschutz. Je weniger eine Fassade von Regen durchnässt wird, desto weniger bilden sich hier Algen und Pilze und desto weniger Biozide sind notwendig. Bei Versickerungsmulden werden Partikel und Schwermetalle meist gut durch die belebte obere Bodenzone zurückgehalten. Bei anderen Schadstoffen wie beispielsweise Bioziden gelingt das nicht immer. Sie können dann in Untergrund oder Grundwasser gelangen und dort wiederum zum Problem werden. Deshalb sollte man eine mögliche Belastung des Regenwasserabflusses auch bei der Versickerung berücksichtigen.
Konkrete Lösungsvorschläge für eine ökologisch nachhaltige Fassadengestaltung:
- Konstruktiver Witterungsschutz
- Materialien ohne stoffliche Belastung
- Materialien mit reduzierter stofflicher Belastung
- besondere Ausführung der Schlagregenseite
- Fassadenbegrünung
- Instandhaltungskonzept
Lassen sich Schadstoffe auch im Nachhinein noch herausfiltern?
Eine nachgeschaltete dezentrale Behandlung des Regenwasserabflusses auf dem Grundstück ist möglich. Dabei werden die unerwünschten Stoffe beispielsweise in absorbierenden Substraten in unterirdischen Filteranlagen oder Rinnen oder im Boden dezentraler Maßnahmen akkumuliert. Gegebenenfalls müssen sie dann entsorgt werden. Eine Vermeidung ist deshalb immer vorzuziehen.
Was heißt Vermeidung?
Man sollte schon an der Quelle ansetzen. Bereits bei Planung und Ausschreibung sollten Produkte ohne oder mit nachweislich geringer stofflicher Belastung berücksichtigt werden. Bei Gründächern sind das etwa die genannten Dachabdichtungen ohne chemischen Wurzelschutz. Auch über Dachflächen, Regenrinnen und Fallrohre aus Metall können Schwermetalle wie Zink und Kupfer in die Gewässer gelangen. Diese Belastungen lassen sich zum Beispiel durch den Einsatz anderer Materialien wie Chromstahl oder Aluminium vermeiden.
Gängige Behandlungs- und Retentionsmöglichkeiten:
- Behandlung mit naturnahen Systemen
- Behandlung mit technischen Systemen
- Retention von Regenwasser
Welchen konkreten Nutzen haben der Leitfaden und die Steckbriefe?
Sie sollen zuerst einmal für das Thema sensibilisieren, bisher findet es leider noch viel zu wenig Beachtung. Der Leitfaden beleuchtet deshalb zunächst den fachlichen Hintergrund. Die Steckbriefe geben hingegen ganz konkrete und zugleich kompakte Planungshinweise. Auch dazu, worauf schon bei der Ausschreibung hingewiesen werden sollte, damit emissionsarme Konzepte möglichst früh berücksichtigt werden. Weiterführende Informationen haben wir verlinkt. Wir hoffen, dass Leitfaden und Steckbriefe Architekt:innen und Planer:innen zu nachhaltigen Lösungen ermutigt.