Grundstücksübergreifende Lösungen
Blick über den Grundstücksrand

Die einen benötigen mehr Regenwasser, als ihre Dachflächen hergeben. Die anderen haben zu viel, um es selbst zu bewirtschaften. Grundstücksübergreifend gedacht, können Win-win-Situationen entstehen.

22. März 2024
Auf dem Friedhof Georgen-Parochial II wird Regenwasser grundstücksübergreifend bewirtschaftet. Die Niederschläge, die auf Hof- und Dachflächen eines benachbarten Bürogebäudes anfallen, werden in einer Zisterne gespeichert und für die Bewässerung von Gräbern und Grünflächen genutzt. Überschüssiges Regenwasser wird in einem eigens angelegten Überlaufbiotop versickert (hier im Bild).
Auf dem Friedhof Georgen-Parochial II wird Regenwasser grundstücksübergreifend bewirtschaftet. Die Niederschläge, die auf Hof- und Dachflächen eines benachbarten Bürogebäudes anfallen, werden in einer Zisterne gespeichert und für die Bewässerung von Gräbern und Grünflächen genutzt. Überschüssiges Regenwasser wird in einem eigens angelegten Überlaufbiotop versickert (hier im Bild).

Regenwassernutzung auf dem Friedhof Georgen-Parochial II

Ein kalter Tag Ende Januar. Das Display der Zisterne zeigt einen Füllstand von 75 Prozent. Sie ist das Herzstück von Berlins erster Grundstücksübergreifenden Lösung (GüL) zur Bewirtschaftung von Regenwasser. 200 Kubikmeter fasst der Wasserspeicher unter dem Grundstück des Friedhofs Georgen-Parochial II in der Landsberger Allee, Stadtteil Friedrichshain. Ein Koloss aus Beton, so groß, dass man dafür eine Baugenehmigung benötigt.

 

„Um Grünflächen und Gräber auf insgesamt knapp 125.300 Quadratmetern zu bewässern, benötigen wir laut Auswertung im Jahr fast 2.200 Kubikmeter Wasser“, sagt Projektinitiatorin Bettina Neff vom Evangelischen Friedhofsverband Berlin Stadtmitte (EVFBS). „Dafür wollten wir nicht länger Trink-, sondern Regenwasser nehmen.“ Doch auf den eigenen Dachflächen fällt nicht genug an, um diesen Bedarf zu decken. Ein glücklicher Zufall: 2021 begann der Bau eines großen Bürokomplexes direkt nebenan. Von dessen Dachflächen stammt das meiste Niederschlagswasser, das sich in der Zisterne sammelt. „Als das Projektteam aus oikotec Ingenieur*innen, gruppe F, WOHNGRUENWERT und dem EVFBS nebenan die Baugrube sah, entstand die Idee einer grundstücksübergreifenden Lösung.“

Der Regenabfluss des Büroneubaus (links im Bild) und von Parkplatz, Betriebshof und Gebäude des Friedhofs (mittig) wird in die Zisterne geleitet.
Der Regenabfluss des Büroneubaus (links im Bild) und von Parkplatz, Betriebshof und Gebäude des Friedhofs (mittig) wird in die Zisterne geleitet.

Friedhof Georgen-Parochial II

Anlass: Neubau Bürokomplex & klimaangepasste Umgestaltung des Friedhofs

 

Akteure: Evangelischer Friedhofsverband Berlin Stadtmitte, gruppe F – Freiraum für alle, oikotec Ingenieur*innen, STATTBAU Stadtentwicklungsgesellschaft, WOHNGRUENWERT, privater Bauherr Bürokomplex, Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg

Technische Lösung: Zisterne mit Wettersteuerung und mechanisch-biologischem Vorfilter; automatische Trinkwassernachspeisung; wechselfeuchte Überlauffläche; Drainagemulde zur Reinigung des Abflusses von Wegen, Parkplatz und Betriebshof; klimaangepasste Baumarten; Bodenverbesserung an bestehenden Baumstandorten; Datenerfassung aller Komponenten; Wetterstation zum Abgleich mit der Wettervorhersage; Querrinnen an den Hauptwegen

 

Finanzierung: BEK-Förderung, Eigenmittel privater Bauherr Bürokomplex

Der Bauherr war offen dafür, schließlich hatte er das umgekehrte Problem wie der Friedhof: viel Dach-, aber wenig Versickerungsfläche. Hier Regenwasser vor Ort zu bewirtschaften – seit 2018 Pflicht bei Neubau und umfassenden Sanierungen – wäre aufwendig und teuer geworden. In diesem Fall ist „vor Ort“ nun der Friedhof. „Der Bauherr hat dann auch gleich die Firma, die den Rohbau erstellt hat, mit dem Guss der Zisterne beauftragt und sich an den Gesamtkosten beteiligt“, berichtet Friedhofsverwalter Olaf Bartenstein. Einen Teil konnte der EVFBS mit Fördermitteln, eine halbe Million Euro, aus dem Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm (BEK) finanzieren.

 

Nachbarschaftsvereinbarung zwischen Friedhof und privatem Bauherrn

Von der Zisterne wird das Wasser zur Regenwasserzentrale gepumpt und von hier einerseits ins Betriebswassernetz und zu den Zapfstellen an den Wegen geleitet, andererseits zu zwei Wassertankstellen. Hier können die Friedhofsmitarbeitenden die 1.000-Liter-Tanks der Gießwagen füllen, um Grünflächen und Bäume zu bewässern. „Wenn die Zisterne voll ist, haben wir im Sommer bis zu zwei Wochen Regenwasser für den Friedhof“, sagt Bartenstein. Dadurch schont der Friedhof wertvolle Ressourcen und spart viel Geld für Trinkwasser.

Die Zisterne ist mit einer Wettersteuerung verbunden. Sind starke Regenfälle angekündigt und der Speicher ist ziemlich voll, befördern zwei Pumpen das Wasser automatisch zu einer Überlauffläche. „Das ist ein wechselfeuchtes Biotop mit verschiedenen Versickerungs- und Verdunstungszonen“, sagt Projektkoordinatorin Ruth Vicente vom EVFBS. Sensoren überwachen den Feuchtegehalt. „Auch die neu gepflanzten trockenresistenten Bäume haben im Wurzelbereich Sensoren, die Bodentemperatur und Bodenfeuchte überwachen.“

 

Die größte Herausforderung war die rechtliche Ausgestaltung der Nachbarschaftsvereinbarung. Kurz zusammengefasst, übernimmt hier jede Partei Energie-, Wartungs- und Reparaturkosten für alles, was sich auf dem eigenen Grundstück befindet. „Die Zisterne liegt im Verantwortungsbereich des EVFBS, die Leitung nur bis zur Grundstücksgrenze“, erläutert Vicente. Wichtig sei auch, dass der Vertrag auf Dauer angelegt sei, der Friedhof das Niederschlagswasser vom Nachbargrundstück also auch dann bekomme, wenn der Eigentümer wechsle oder das Gebäude abgerissen werde. „Das Niederschlagswasser-Bezugsrecht wurde als sogenannte Reallast ins Grundbuch eingetragen.“ Im Dezember 2022 wurde das Pilotprojekt fertiggestellt. „Wir sind so glücklich damit, dass wir auch für unsere Friedhöfe an der Kreuzberger Bergmannstraße eine GüL-Machbarkeitsstudie erstellen.“

»Wenn die Zisterne voll ist, haben wir im Sommer bis zu zwei Wochen Regenwasser für den Friedhof.«
Olaf Bartenstein, EVFBS
Zugang zur Zisterne unter dem Friedhof Georgen-Parochial II
Zugang zur Zisterne unter dem Friedhof Georgen-Parochial II
Der Friedhof wird mit Regenwasser aus der Zisterne bewässert.
Der Friedhof wird mit Regenwasser aus der Zisterne bewässert.

Neue Potenziale für die Schwammstadt

Gerade in dicht bebauten Städten wie Berlin ergeben sich durch grundstücksübergreifende Lösungen neue Potenziale für die Umsetzung der Schwammstadt. Denn oft fehlen Flächen, um Regenwasser auf dem eigenen Grundstück bewirtschaften zu können. Die Straßenbäume, der Garten des Nachbargrundstücks oder der Park nebenan würden damit hingegen besser durch Trockenzeiten kommen. „Das Interesse an grundstücksübergreifenden Lösungen nimmt in Berlin seit 2019 kontinuierlich zu“, sagt Hanna Meyer von der Berliner Regenwasseragentur (RWA). „Wir bekommen seitdem verstärkt Anfragen von Bezirken, Wohnungseigentümergemeinschaften und Kirchen. Das Thema hat es 2021 sogar in den Koalitionsvertrag geschafft. Dass es damit politische Aufmerksamkeit bekommen hat, freut uns sehr.“

Das ebnete den Weg für die Studie „Grundstücksübergreifende Lösungen zur Regenwasserbewirtschaftung“. Die GüL-Pioniere von oikotec Ingenieur*innen und gruppe F haben sie zusammen mit zwei Rechtsanwälten im Auftrag der Senatsumweltverwaltung erstellt. „Das zentrale Ergebnis der Studie ist, dass grundstücksübergreifende Regenwasserbewirtschaftung technisch in vielen Konstellationen relativ einfach möglich ist. Die Abstimmungen zu Finanzierung, Bauabläufen und Betrieb sind jedoch sehr aufwendig“, sagt Jakob Sohrt. Er ist in der Senatsumweltverwaltung fürs Regenwassermanagement zuständig und hat zusammen mit Grit Diesing von der RWA das beratende Netzwerk hinter der Studie – einen fachlichen Begleitkreis aus Vertreter:innen von Land Berlin, Bezirken, Berliner Wasserbetrieben, EVFBS, BIM Berliner Immobilienmanagement und Grün Berlin – koordiniert. „In Workshops haben wir uns anhand von fünf Fallbeispielen angesehen, wie sich eine GüL hier umsetzen lässt, welche Fragen auftauchen und welche Hürden es gibt“, erläutert er.

 

So wurden in der Studie konkrete Produkte entwickelt: ein Prozessablaufschema, ein großer Fragen-Antworten-Katalog, technische Lösungsmöglichkeiten, übergeordnete Empfehlungen für eine stadtweite Schwammstadtstrategie sowie, ganz wichtig, ein Mustervertrag. Denn bei der vertraglichen Vereinbarung steckt der Teufel im Detail. Zum Beispiel, wenn das Regenwasser mithilfe von Pumpen von einem Gebäude zu einer höher gelegenen Grünfläche transportiert werden muss: Wer trägt die Energiekosten für deren Betrieb, wer ist für Wartung und Reparatur zuständig? Ganz zu schweigen von den Investitionskosten. Die Nachbarschaftsvereinbarung des Pilotprojekts auf dem Friedhof Georgen-Parochial II hat hier wichtige Vorarbeit geleistet.

 

„Wir wollen mit der Studie vor allem ganz praktische Hilfe zur Selbsthilfe geben“, betont Sohrt. „Momentan kann kaum ein Fachbüro solche grundstücksübergreifenden Lösungen umsetzen. Es fehlen die Erfahrungen, das Wissen, wann welche Arbeitsschritte anstehen und welche Verbindlichkeiten wie geregelt werden müssen.“ Viele Fragen seien noch offen. „Wie gehen wir zum Beispiel damit um, wenn das Regenwasser auf dem Weg von einem privaten Grundstück zu einer Grünfläche eine öffentliche Straße queren muss? Wer finanziert und betreibt die geplanten Anlagen im öffentlichen Raum?“ Für solche Fragen, den Betrieb und auch für die Übernahme der damit verbundenen Kosten wünscht er sich eine kompetente Anlaufstelle, möglichst mit öffentlich-rechtlichem Status. Eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema grundsätzlich sowie die Bearbeitung von noch offenen Fragen sei hier auf jeden Fall erforderlich.

»Wir wollen mit der Studie vor allem ganz praktische Hilfe zur Selbsthilfe geben.«
Jakob Sohrt, Senatsumweltverwaltung
Das in Sanierung befindliche Hochhaus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen im Hintergrund, davor der winterliche Preußenpark.
Das in Sanierung befindliche Hochhaus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen im Hintergrund, davor der winterliche Preußenpark.

Sprintprojekt: Regenwasser für den Preußenpark

Ad hoc versucht die Regenwasseragentur bereits vereinzelt, bei herausragenden GüL-Projektideen zu unterstützen: „Wir organisieren im Sinne einer übergeordneten Projektkoordination gemeinsame Termine zwischen Bauherr:innen und beauftragten Fachplaner:innen, moderieren und dokumentieren den fachlichen Austausch und haken bei kritischen Punkten immer wieder nach“, erläutert Regenagentin Diesing.

 

So auch bei dem aktuellen GüL-Sprintprojekt Preußenpark. Für die klimaresiliente Umgestaltung der Grünanlage bekommt das Straßen- und Grünflächenamt (SGA) Charlottenburg-Wilmersdorf Fördermittel aus dem Bundesprogramm „Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel“. „Da auf der anderen Straßenseite in der Württembergischen Straße 6 die Gebäude der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen umfassend saniert werden, haben wir dem Eigentümer vorgeschlagen, das auf den Dachflächen anfallende Regenwasser zum Teil für die Bewässerung des Parks zu nutzen“, berichtet Dana Matschek vom Fachbereich Grünflächen des SGA.

 

Eigentümerin ist die BIM, die sich schon länger für den Umbau Berlins zur Schwammstadt engagiert. „Deshalb waren wir direkt begeistert von der Idee“, sagt Grit Staack, Baumanagerin und Mitgründerin der BIM-internen AG Schwammstadt. „Für die bei uns geplante Dachbegrünung und die Außenanlagen inklusive der Bäume verwenden wir nur einen Teil des anfallenden Regenwassers. Wir freuen uns über die Möglichkeit, mit dem restlichen Regenwasser das Stadtgrün im Preußenpark mitzuversorgen und damit das gemeinsame GüL-Projekt voranzutreiben.“

 

Bei mehreren von der RWA organisierten Treffen haben SGA, BIM und die beauftragten Landschaftsarchitektur-, Ingenieur- und TGA-Planungsbüros verschiedene Lösungsmöglichkeiten durchgespielt. Geplant sind aktuell mehrere Zisternen – eine auf dem BIM-Grundstück und mindestens eine weitere im Norden des Preußenparks. „Den genauen Zisternenstandort im Park und die Verlegung von Druckleitungen unter der Straße klären wir derzeit mit dem Umwelt- und Naturschutz- sowie dem Tiefbauamt“, erläutert Matschek. Da der Park höher liegt als das BIM-Grundstück, muss das Regenwasser mithilfe einer Pumpe dorthin befördert werden.

Technische Lösung: Zisternen auf BIMGrundstück und im Preußenpark; Druckleitungen unter der Straße; Pumpen

 

Finanzierung: Bundesprogramm „Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel“ (Park) zzgl. Investitionsmittel des Bezirks, Eigenmittel BIM Berliner Immobilienmanagement

Herausfordernd ist bei diesem Projekt vor allem die zeitliche Abstimmung. Denn die Gesamtsanierung der BIM-Liegenschaft war in vollem Gange, als die Idee mit der GüL aufkam. „Wir halten diese Lösung dennoch für absolut wichtig, weil wir in die Umsetzung kommen und Erfahrungswerte sammeln wollen. Wir brauchen gebaute Projekte, um zu lernen und zu zeigen, wie eine GüL funktionieren kann. Nachhaltigkeitsthemen gehören zur Unternehmensphilosophie und werden auf allen Ebenen in der BIM unterstützt“, betont Staack. Der Sanierungsbeginn des Preußenparks ist erst für 2025 und damit ein knappes Jahr nach Fertigstellung des BIM Grundstücks geplant. Bis der Park umgebaut ist, muss das Regenwasser weiter ungenutzt in die Kanalisation geleitet werden.

Flächenversickerung am Stadtbad Charlottenburg

Unkomplizierter gestaltet sich die GüL an der Neuen Halle des Stadtbads Charlottenburg und dem unmittelbar angrenzenden Richard-Wagner- Park: Zwischen Schwimmbad und Rasenfläche befindet sich lediglich ein Fußweg. Außerdem haben die Berliner Bäder-Betriebe (BBB) noch nicht mit den Baumaßnahmen am Dach der Neuen Halle begonnen. Ziel ist es, das Regenwasser künftig dezentral zu bewirtschaften. Das ist allerdings gar nicht so einfach: zum einen wegen der hohen Versiegelung des Grundstücks, zum anderen, weil die Statik nur teilweise eine Begrünung des Dachs zulässt. Daher besteht auch hier ein Interesse an einer grundstücksübergreifenden Lösung.

Versickerungstests auf der Rasenfläche des Richard-Wagner-Parks
Versickerungstests auf der Rasenfläche des Richard-Wagner-Parks

Technische Lösung: Flächenversickerung; Rinnen

 

Finanzierung: Eigenmittel Berliner Bäder-Betriebe

„Das SGA Charlottenburg-Wilmersdorf hat schon 2018 sein Interesse an einer Kooperationsvereinbarung mit den BBB bekundet, um das Regenwasser der Grünanlage zugutekommen zu lassen“, sagt Ulrich Heink vom Umwelt- und Naturschutzamt, der das Projekt begleitet. Seitdem ist auch die RWA in das Vorhaben involviert, berät und nimmt an den Gesprächen mit den BBB teil. Vorgesehen ist eine Flächenversickerung über einen Großteil der Grünanlage, dafür wird lediglich die Geländeoberfläche modelliert. „Wir können im Park keine Mulde anlegen. Die Sickerprobe hat ergeben, dass sich dort stauende Schichten befinden und das Wasser deshalb zu lange in der Mulde stehen würde“, erläutert Heink. Über Rinnen soll das Wasser vom Schwimmhallendach in die Grünanlage geleitet werden.

 

Der Gehweg soll barrierefrei mit Steinplatten befestigt werden. Der Anfang in Sachen GüL ist getan. Die RWA engagiert sich dafür, das Thema weiter in die Breite zu tragen. „Es soll zum Beispiel in diesem Jahr eine Veranstaltung im Rahmen unserer Berliner Regenreihe dazu geben“, betont Diesing. „Und natürlich werden wir bei Bedarf weitere herausragende GüLProjekte im Prozess unterstützen.“