Interview
Wo es sich besonders lohnt, Regenwasser zu bewirtschaften.

Berlins Flächen bergen unterschiedliche Potenziale, Regenwasser vor Ort zu bewirtschaften. Eine Studie im Auftrag der Regenwasseragentur liefert eine Grundlage, um sie identifizieren und strategisch bewerten zu können. Im Interview stellt Paul Kober sie vor.

22. März 2024
Durch die Erweiterung von Baumscheiben konnten in der Bülowstraße in Berlin-Schöneberg Gehwege teilweise von der Kanalisation abgekoppelt werden.
Durch die Erweiterung von Baumscheiben konnten in der Bülowstraße in Berlin-Schöneberg Gehwege teilweise von der Kanalisation abgekoppelt werden.
„gruppe F – Freiraum für alle“ hat für die Studie die Abkopplungspotenziale in Berlin untersucht. Was ist die Idee dahinter?

Klar ist: Wir müssen Flächen von der Kanalisation abkoppeln und Regenwasser vor Ort bewirtschaften: indem wir es verdunsten, versickern, speichern oder nutzen. Werden solche Möglichkeiten über die gesamte Stadt verteilt umgesetzt, führt das zu einem besseren Mikroklima, mehr Grundwasserneubildung, sauberen Gewässern, weniger Überflutungen und gesünderem Stadtgrün. Doch nicht überall lässt sich Regenwasser gleich gut bewirtschaften, da die Voraussetzungen unterschiedlich sind. Und an manchen Orten ist die Notwendigkeit größer als an anderen. Damit Akteure wie Wohnungsunternehmen und Bezirke wissen, wo sie am besten ansetzen können, zeigt unsere Studie Handlungsräume und Potenziale der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung auf. Die Ergebnisse können außerdem hilfreich sein für Politiker:innen und alle anderen, die Strategien für die Umsetzung entwickeln und dafür Ziele setzen und Anreizinstrumente schaffen wollen.

 

Was ist mit Handlungsräumen gemeint?

Handlungsräume sind Orte, an denen es sich lohnt, mit der Abkopplung zu beginnen. Sichtbar werden sie, indem wir eine Reihe von Fragen beantworten und die Ergebnisse in Karten überlagern. Erstens: Wo lässt sich Regenwasser besonders gut versickern und welche Freiflächen stehen dafür bereit? Zweitens: Wo ist es besonders notwendig abzukoppeln? Betrachtet werden beispielsweise Hitzehotspots oder Bereiche der Mischwasserkanalisation, die bei Starkregen überlastet sind. Drittens berücksichtigen wir Gelegenheitsfenster wie zum Beispiel Förderkulissen, Liegenschaften in öffentlicher Hand oder Sanierungsgebiete. Je nach Akteursperspektive können die Fragestellungen und Kriterien zur Definition von Handlungsräumen variieren und dementsprechend angepasst werden.

Paul Kober Berliner Regenwasseragentur Foto Ahnen und Enkel Silke Reents

Paul Kober

Der Ingenieur für Technischen Umweltschutz hat in der Forschung im Bereich Siedlungswasserwirtschaft gearbeitet und ist seit 2020 Teammitglied der Berliner Regenwasseragentur. Er setzt sich für eine lebenswerte, dem Klima angepasste Stadt ein, bei der ihm der Schutz des Grundwassers und der Oberflächengewässer wichtig ist.

Wie sind Sie methodisch vorgegangen?

Es galt, die Bedarfe der wichtigen Akteure zu eruieren: in Telefoninterviews, Onlineumfragen und Workshops. Wir haben uns überlegt, wodurch Potenziale definiert sind und anhand welcher Parameter man sie beschreiben kann. Das daraus entwickelte Schema wurde anschließend modelltechnisch in einem Geoinformationssystem aufgesetzt. Ausgewertet werden drei Szenarien, von „aufwendige“ bis „einfache Umsetzung“. Um die Ergebnisse für alle nutzbar machen zu können, war es uns wichtig, frei zugängliche Daten aus dem Umweltatlas zu verwenden. Die gesamte Methodik haben wir eng mit einem Begleitkreis abgestimmt. Dazu gehörten die Berliner Wasserbetriebe, die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen.

 

Für wen sind die verschiedenen Karten gedacht und wofür kann man sie einsetzen?

Der Kreis der Adressaten ist divers, ebenso ihre Bedarfe und Ziele in Bezug auf Abkopplung. Sie alle können die Karten zu den Abkopplungspotenzialen und Handlungsräumen als Grundlage für ihre strategische Planung nutzen, die Bezirke etwa für Klimaanpassungskonzepte, die Senatsverwaltungen bei der Aufstellung von Förderprogrammen und die Berliner Wasserbetriebe im Rahmen der Kanalsanierungsplanung. Große Flächeneigner:innen wie Wohnungsbaugesellschaften oder die BIM Berliner Immobilienmanagement können die Karten für die Priorisierung bei anstehenden Sanierungen oder Nachverdichtungen nehmen. Schließlich liefern die Versickerungspotenzialkarten Planer:innen und Grundstückseigentümer:innen erste Hinweise für geeignete Maßnahmen auf Grundstücksebene.

 

Wie geht es nun weiter?

Als nächsten Schritt möchten wir die Methodik mit verschiedenen Flächeneigner:innen ausprobieren. Ziel ist es, sie im Rahmen unserer Beratung und Vorhabenbegleitung dauerhaft zu nutzen, um so beim Umbau des Bestandes hin zu einer wasserbewussten Stadt noch besser unterstützen zu können. Über die starren Karten hinaus möchten wir die Entwicklung eines interaktiven Tools vorantreiben, mit dem sich individuelle Abfragen und Szenarien erstellen lassen und das für alle Akteure zugänglich ist.