Der ehemalige Klinikstandort in der Charlottenburger Eschenallee ist sichtlich in die Jahre gekommen. Das landeseigene Grundstück hat eine Größe von rund 21.000 m² und soll mit seinen zehn Bestandsgebäuden langfristig als nutzungsgemischter Standort für soziale und kulturelle Einrichtungen bzw. für Personen mit besonderem Wohnbedarf entwickelt werden. Das 1979 errichtete Hauptgebäude sowie zwei weitere um 1900 errichtete Bestandsbauten sollen deshalb umfassend saniert werden. Diese Gelegenheit will die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) als landeseigene Immobiliendienstleisterin mit Unterstützung der Berliner Regenwasseragentur nutzen, um die Gebäude und andere versiegelte Grundstücksflächen von der Kanalisation abzukoppeln und stattdessen mit dem Regenwasser die vielen Grünflächen zu versorgen.
Leuchtturmprojekte schaffen
2022 hatte sich die, im Rahmen des Innovationslabors der BIM gegründete, Arbeitsgruppe (AG) „Schwammstadt“ an die Regenwasseragentur mit der Bitte um Austausch und Beratung gewandt. „Wir haben dann bei der BIM eine Inhouse-Schulung rund um das Thema Abkopplung durchgeführt“, berichtet Grit Diesing von der Regenwasseragentur. Im Anschluss hat die AG „Schwammstadt“ mögliche Liegenschaften für die Umsetzung identifiziert und sich gemeinsam mit der Regenwasseragentur für das Sanierungsvorhaben in der Eschenallee entschieden. „Bei einer Ortsbegehung haben wir anhand der von uns entwickelten Abkopplungs-Checkliste ermittelt, mit welchen Maßnahmen sich Regenwasser vor Ort bewirtschaften ließe. Herausgekommen ist dabei eine Kombination aus Dachbegrünung, Entsiegelung, Flächen- und Muldenversickerung sowie der unterirdische Einbau einer Zisterne“, so Diesing.
Das Vorhaben in der Eschenallee bildet gemeinsam mit weiteren Projekten den Auftakt für die Abkopplung im Bestand. „Großen Unternehmen wie der BIM mit ihren mehr als 5.000 landeseigenen Immobilien kommt eine Vorreiterrolle zu. Wenn sie das Thema Regenwasserbewirtschaftung in ihren Strategien verankern, hat das große Strahlkraft“, betont Diesing. Und die ist wichtig, damit gerade im innerstädtischen Bereich Regenwasser verstärkt dezentral bewirtschaftet wird. Also genau dort, wo die Notwendigkeit aufgrund der starken Versiegelung, der Mischwasserkanalisation und der Hitzebelastung bei gleichzeitig geringem Grünflächenanteil besonders groß ist.
»Großen Unternehmen kommt eine Vorreiterrolle zu. Wenn sie das Thema Regenwasserbewirtschaftung in ihren Strategien verankern, hat das große Strahlkraft.«
Individuell beraten
Die Regenwasseragentur fokussiert sich zunehmend auf die Abkopplung im Bestand und unterstützt große städtische wie auch private und gewerbliche Immobilieneigentümer:innen beim wasserbewussten Umbau. Die Services sind breit gefächert. „Neben Inhouse-Schulungen und Anlaufberatungen mit Ortsbegehungen helfen wir je nach Bedarf, Grundlagen zu ermitteln, Machbarkeitsstudien und Baugrunduntersuchungen auszuschreiben, Fachplaner:innen zu finden, Angebote zu bewerten, Konzepte zu stricken und Fördermittel zu beantragen. Und nicht zuletzt treten wir auch als Sachverständige bei städtebaulichen oder freiraumplanerischen Wettbewerben auf“, fasst Grit Diesing die Leistungen zusammen.
Unser Jahresbericht 2022
Der vorliegende Beitrag ist als Titelstory erstmals in unserem Jahresbericht 2022 erschienen. Dort lesen Sie auch:
- Interview mit Birgit Fritz-Taute: »Eine existenzielle Herausforderung für Generationen«
- Regenwende-Barometer: Das Stimmungsbild der Wohnungswirtschaft zur dezentralen Regenwasserbewirtschaftung in Berlin
- Interview mit BWB-Chef Christoph Donner: »Der Klimawandel hat die Perspektive komplett gedreht«
Akteure an einen Tisch holen
Gelingt es, auch die öffentlichen Straßen, Plätze und Grünflächen wasserbewusst umzugestalten, können alle unmittelbar von einer besseren Nutzung der Ressource Regen profitieren. Doch hier prallen besonders viele Interessen aufeinander: Es braucht Fahrbahnen für Autos, Lieferwagen, Feuerwehr und Fahrräder, Wege für Fußgänger, Bushaltestellen und Parkplätze sowie ausreichend Platz für Bäume, Cafés, Märkte, Spielflächen, Rückzugsorte und natürlich: die Natur! Wenn dann noch Flächen für eine Versickerung hinzukommen sollen, wird’s meist eng – und die ohnehin schon komplexe Planung im öffentlichen Raum noch anspruchsvoller. „Eine gelungene Planung, zum Beispiel von einer neu zu gestaltenden Straße oder einem Platz, setzt einen intensiven Austausch der Verantwortungs- und Interessensträger voraus. Kooperation ist Trumpf“, sagt Darla Nickel, Leiterin der Berliner Regenwasseragentur.
Deshalb holt die Regenwasseragentur die Akteure an einen Tisch: In der verwaltungsübergreifenden Arbeitsgruppe „Neuausrichtung Straßenentwässerung“ unter Leitung der Regenwasseragentur und der Berliner Wasserbetriebe (BWB) bringen sich Vertreter:innen der Tiefbauämter sämtlicher Berliner Bezirke sowie der Bereiche Wasserwirtschaft und Verkehr der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt ein.
Einig waren sich die Beteiligten schnell, dass im öffentlichen Raum mit gutem Beispiel vorangegangen werden muss. Aber wie umsetzen? „Um hier Lösungen zu finden, haben wir repräsentative Projekte ausgewählt und gemeinsam – mitunter bezirksübergreifend – Ziele definiert, Varianten entwickelt und bewertet“, so Nickel. Gemeinsam wird auch daran gearbeitet, den Planungsprozess und die Baustandards weiterzuentwickeln. Da es dabei um weit mehr als die Straßenentwässerung geht, wird die AG nun umbenannt in Arbeitsgruppe „Klimaangepasste Straße“.
Um diesen partizipativen Prozess zu unterstützen, haben Regenwasseragentur und BWB zusammen mit einem Spezialisten für Multi-User-Systeme einen digitalen, interaktiven Planungstisch entwickelt. „Das Besondere daran ist, dass alle relevanten Akteure auch physisch an einem Tisch mit allen verfügbaren Informationen zusammenkommen und im unmittelbaren Kontakt gemeinsam planen“, sagt Svenja Kriegebaum vom Team der Regenwasseragentur. „So finden sie einfacher und schneller eine gemeinsame Linie und einen Interessenausgleich.“
Mit mehr Wissen schneller zum Ziel
Um den Umbau Berlins zur Schwammstadt bei oft geringen Personalressourcen schneller voranzutreiben, müssen Wissenslücken geschlossen werden. Eine Schlüsselfrage lautet: Wo ist der Handlungsbedarf bzw. der positive Effekt durch Umbau am größten? Und: Wo lassen sich welche Maßnahmen umsetzen? Auf vielfache Anregung hin hat die Regenwasseragentur die Entwicklung eines Tools beauftragt, mit dem die Orte mit den größten Potenzialen ermittelt werden können. „Gemeinsam mit unserem Auftragnehmer haben wir 2022 eine Methodik zur Erfassung von Abkopplungspotenzialen entwickelt, in zwei Testgebieten in Kreuzberg und Prenzlauer Berg angewendet und die Ergebnisse in Fachkreisen kritisch unter die Lupe genommen“, erläutert Paul Kober von der Regenwasseragentur. Derzeit wird die Methode auf das ganze Stadtgebiet ausgeweitet und als GIS-basiertes Auswertungswerkzeug implementiert.
Eine weitere Wissenslücke betrifft den finanziellen Aufwand sowie Kostenverschiebungen, die durch den wasserbewussten Stadtumbau entstehen. „Es gibt kaum verfügbare Informationen zu den tatsächlichen Kosten der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung. Doch sie sind ganz entscheidend, um beispielweise zwischen Planungsalternativen entscheiden und wirtschaftliche Lösungen finden zu können – oder auch, um passende Anreiz- und Förderinstrumente zu entwickeln“, so Nickel. 2022 beauftragte die Regenwasseragentur eine entsprechende Analyse, in deren Rahmen nicht nur die Investitions- und Betriebskosten verschiedener Maßnahmen erfasst, sondern auch Kostenvergleiche mit zentralen Lösungen durchgeführt wurden. Darauf aufbauend erstellt die Regenwasseragentur derzeit einen digitalen Kostenrechner, der 2023 veröffentlicht wird.
Die noch zu bewältigenden Herausforderungen, die der wasserbewusste Umbau im Bestand mit sind bringt, sind groß. Zahlreiche Akteure sind dabei gefordert, damit künftig alle Berliner:innen, die Stadtnatur und das Klima profitieren. Die Berliner Regenwasseragentur ist an ihrer Seite. „Aber auch Politik und Verwaltung sind natürlich gefragt, bessere Rahmenbedingungen für die Umsetzung zu schaffen, sei es für den öffentlichen oder für den privaten Bereich“, resümiert Nickel. „Wir hätten da ein paar Ideen.“
»Eine gelungene Planung, zum Beispiel von einer neu zu gestaltenden Straße oder einem Platz, setzt einen intensiven Austausch der Verantwortungs- und Interessensträger voraus.«Dr. Darla Nickel, Leiterin Berliner Regenwasseragentur